Sieht man die Regale der Fachbuchhandlungen für Architektur, Bauwesen und Immobilienwirtschaft durch, wirkt die Überzahl der Bücher allzu bemüht, bei den Lesern keinen falschen Ehrgeiz zu wecken: als genüge es, im Baualltag möglichst wenig falsch zu machen. Wenige Werke bieten Stoff zur Stärkung der Urteilskraft, geben Auskunft darüber, was „gute“ Architektur sei und wie man ihr näher kommen könne. Es sind immerhin genug, um spontan unterscheiden zu können: Zur „Architektur“ zählen wir Bauten, die ansprechen, begeistern, neugierig machen. Die neutralen, langweiligen nennen wir Gebäude, nicht Architektur. Der ärgerliche Rest – eine ganze Menge – wären dann nur Schuppen. Eine nicht allzu differenzierte Werteskala! Es ist aber mühsam genug, immer wieder gegenwartstaugliche Kriterien guter Architektur zu entwickeln und deren kulturellen, sozialen und ökonomischen Mehrwert zu definieren. Ist wahre Architektur schön? Der Kirchenvater Augustinus bezeichnete Schönheit als „Glanz des Wahren“. Zu dieser Wahrheit gehört der Befund, dass „schöne“ Architektur mehr wert ist und höhere Renditen abwirft als durchschnittliche Häuser. Das macht Architektur auch schnell zur Ware – besonders im Premium-Segment.
Die kreditgesteuerte Wertschöpfung, wie sie von der Bau- und Immobilienwirtschaft organisiert wird, ist die mächtigste Säule der internationalen Finanzindustrie. Dieser gelang es, Immobilienwerte in großem Stil von ihren real erlebbaren Nutzwerten abzukoppeln, als Kreditpakete zu stückeln, zu verbriefen und über den Wertpapierhandel in Umlauf zu bringen. Da sich vorzugsweise in diesem Sektor die „Blasen“ des Finanzsystems bilden, ist es von Vorteil, einen Blick auf die traditionell gefestigte, tendenziell stabilisierende Wertewelt der Architektur zu werfen.

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Fotolia © nixkiAusgabe 4/2017
Der „Glanz des Wahren“
Antike Werte, neuzeitlich interpretiert
„Meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.“