Den Mut zu haben, etwas Neues auszuprobieren, ist das eine. Andere davon zu überzeugen, dass diese Idee gut ist, das andere. Seit vielen Jahren wird von nachhaltiger Architektur gesprochen. Doch will zum Beispiel ein Bauherr in Sachen nachhaltigem Bauen aktiv werden, wird er nicht selten auf das „Passiv-Haus“ verwiesen. Das ist nicht verkehrt, aber es gibt noch so viel mehr: „Von der Wiege bis zur Bahre – ein Gebäudeleben beginnt mit der Rohstoffgewinnung und endet beim Recycling oder auf der Deponie“, sagt Holger Ries vom Architekturbüro Ries und Ries aus Budenheim bei Mainz. Wie ökologisch Architektur tatsächlich sein kann, zeigt das von Ries und Ries geplante neue Umweltbildungszentrum (UBZ) in Mainz. „Unser Ansatz war es, ein Gebäude zu erschaffen, das nachfolgenden Generationen nicht zur Belastung wird, indem wir Baustoffe und Materialien verwenden, die biologisch abbaubar oder, alternativ, unproblematisch zu entsorgen sind.“

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Ästhetisch und nachhaltig: das neue Umweltbildungszentrum in MainzFoto
Ries+Ries Architekten Ingenieure GmbHAusgabe 3/2016Thema: Stadt|Land|Fluss
Ökologische Ästhetik
Neubau Umweltbildungszentrum in Mainz
„Das besondere an dem Gebäude ist, dass es selbst auch rezykliert ist.“
Das innovative und ökologische Konzept ist der rote Faden, der sich durch Gestaltung, Materialwahl und Technik zieht.
Heidelberger Beton lieferte für den innovativen Neubau rund 650 Kubikmeter R-Beton der Güte C25/30, dessen Gesteinskörnungsfraktion mit Größtkorn 2/8 Millimeter aus einem fachgerecht aufbereiteten Altbeton besteht. Geliefert wurden die insgesamt 360 Tonnen des Recycling-Materials von der Firma Scherer und Kohl aus Ludwigshafen, einem der wenigen Unternehmen in Deutschland, die sich auf Recycling-Material spezialisiert haben. Mit der Baufirma Gemünden konnte zudem ein Partner gefunden werden, der sich auf das ambitionierte Vorhaben, R-Beton zu verwenden, einließ und damit gute Erfahrungen machte. „Prinzipiell lässt sich der R-Beton genauso verarbeiten wie ein ‚gewöhnlicher‘ Beton“, erklärt Bodo Wollny, Betontechnologe von der Heidelberger Beton GmbH. „Der Wasseranspruch ist bei gebrochenem Betonsplitt etwas höher. Dies wird bei der Betonrezeptur berücksichtigt und baustellenoptimiert eingestellt.“
Die Idee der Architektur: Eine minimalistische Kubatur, die sich in die örtlichen Gegebenheiten am Hang einbindet, die ökologische Nutzung des Gebäudes unterstreicht und – fast bescheiden – sich der Funktion des Zentrums unterordnet. Das Innere des zweigeschossigen Baus ist dabei in den repräsentativen Tageslichtbereichen in Sichtbeton der Klasse SB3 gestaltet. „In Teilbereichen ein erhöhter Schalungsaufwand“, wie Martin Habes, verantwortlicher Architekt des UBZ von Ries und Ries Architekten, festhält. „Doch wir wollten den Beton sehen, ihn roh lassen, um das Gebäude auch relativ einfach wieder rückbauen zu können. Sämtliche Installationen wurden aus diesem Grund funktional und sauber mit Trassen ‚auf Putz‘, also sichtbar, an den Betonwänden und -decken aufgebracht.“
Das innovative und ökologische Konzept beim Neubau des UBZ zieht sich bei der Gestaltung und Auswahl der Materialien und Technik wie ein roter Faden durch das Gebäude. Davon zeugen etwa die Holzfenster oder das regenerative Energiekonzept mit Luft-Wasser-Wärmepumpe und Photovoltaikanlage. Mit einer 50-prozentigen Unterschreitung des EnEV-Anforderungswertes für Neubauten wird das Gebäude im Bereich der thermischen Hülle sowie der Haustechnik in Anlehnung an den Passivhausstandard ausgeführt. Dazu zählt die 30 Zentimeter starke Wärmedämmung aus Mineralwolle, die auf den 25 Zentimeter dicken Stahlbetonwänden liegt. Mit dem UBZ will die Stadt Mainz durch eine noch intensivere Kooperation mit Wissenschaft und Wirtschaft ein sichtbares Zeichen im Sinne ganzheitlicher und umfassend vernetzter Bildungsangebote setzen. Das geologische Umfeld mit Naturerlebnispfad, Fahrrad- und Wanderwegen bietet ein besonderes Naturerlebnis, das das Zentrum weit über Mainz hinaus zu einem attraktiven Anziehungspunkt für Umweltinformation und -bildung machen wird.
„Wie viel Innovation können wir uns leisten?“
Holger Ries und Martin Habes, von Ries und Ries Architekten im Gespräch
Martin Habes: Wir Architekten haben die wunderbare Chance, Lebensbereiche auch für zukünftige Generationen zu gestalten. Das ist mit einer großen Verantwortung verbunden und mit einer Herausforderung an unser kreatives Potenzial.
Holger Ries: Definitiv. Nachteilig sind derzeit vielleicht noch die höheren Kosten. Die sind aber wohl dem Umstand geschuldet, dass dieser noch nicht flächendeckend angeboten wird.
Holger Ries: Wir mussten uns mehrfach die Frage stellen: Wie viel Innovation können wir uns leisten? R-Beton, Hanf-Dämmung oder Vorhangfassade mit Einblasdämmung, Luft-Erdwärmetauscher zur Unterstützung von Kühlen und Heizen, Eisspeicher-Heizung? „Versuchskaninchen“ möchte schließlich kein Bauherr sein, gerade auch dann, wenn es um die Einhaltung eines fixen Budgets geht. Dafür war von unserer Seite eine Menge Überzeugungsarbeit und Sensibilisierung für die innovativen Baustoffe nötig.
Es geht darum, die Beteiligten für die positive Idee eines nachhaltigen Gebäudes zu begeistern. Das braucht sanften Druck – aber auch Zeit. Die Begeisterung endet dann aber auch sehr schnell, wenn sich das innovative Produkt gegenüber dem handelsüblichen Produkt nach der Ausschreibung plötzlich als doppelt so teuer darstellt. Den umfangreichen Abstimmungsaufwand zwischen Fachplanern, Gremien, Auftraggebern, Ministerien und Ämtern hatten wir im Vorfeld so nicht erwartet. Man verlässt in solch einem Fall den klassischen Radius der Architektur. Hier stellt sich die Frage: Wie kann man Innovationsunterstützung künftig besser honorieren?
Martin Habes: Die Kosten im Innovationsbereich sind zunächst faktisch höher – aber im Verhältnis zu den Gesamtkosten moderat. Es war daher spannend, dem Bauherrn zu vermitteln, dass verbaute Materialien schon von sich aus „oberflächenfertig“ sein können. Das spart Geld und Zeit an anderer Stelle. Mit R-Sichtbeton oder leichten Trennwänden mit OSB-Beplankung haben wir uns – der späteren Nutzung des Gebäudes gebührend – für eine ehrliche Materialwahl entschieden! Hier wird nichts zugespachtelt und verdeckt, sondern alles puristisch, transparent und sichtbar gelassen.
www.ries-ries.de
Objektsteckbrief
Projekt:
Neubau Umweltbildungszentrum Mainz
Bauherr:
Entsorgungsbetriebe der Stadt Mainz
Architekten:
Ries+Ries Architekten Ingenieure GmbH, Budenheim
Bauausführende Firma:
Gemünden GmbH & Co. KG, Ingelheim
TragwerksplanBetonung:
600 m³ R-Beton von der Heidelberger Beton GmbH
Zement:
Cem III/42,5 N aus dem Werk Weisenau der HeidelbergCement AG
Eröffnung:
Mai 2017
Ansprechpartner
bodo.wollny@heidelbergcement.com